Kritik ohne Sitzkissen
Das Jubiläumskonzert der Kantorei der Evangelischen Stadtgemeinde Neuss am 9. November 2025 war ein bemerkenswertes Beispiel dafür, wie musikalische Arbeit und gemeinschaftliches Engagement das kulturelle Leben einer Stadt bereichern können – auch wenn sich die mediale Würdigung und Begleitung der lokalen Kulturredaktion einer monatelangen und hoch engagierten Kulturarbeit darauf beschränkt über Sitzkissen zu schreiben (siehe Lokalzeitung vom 10.11.2025).
Das Konzert begann mit der „Tragischen Ouvertüre“ d-Moll op. 81. Sie gehört zu Brahms wichtigsten Orchesterwerken. Die „Tragische Ouvertüre“ ist geprägt von Ernst, Dramatik und großer innerer Spannung und endet nicht mit pathetischem Bombast, sondern mit resignierender Zurücknahme, was sie von vielen anderen Orchesterwerken der Romantik unterscheidet. Das Orchester Rheinklang Düsseldorf zog die Zuhörenden von Beginn an effektvoll mit den markanten Akkordschlägen und dem folgenden düsteren Hauptthema in den Bann der Brahms‘ schen Musiksprache.
Die Aufführung von Brahms‘ „Deutschem Requiem“ stellt Chor, Solisten, Orchester und Dirigentin vor besondere musikalische und interpretatorische Herausforderungen. Das Werk verlangt vom Chor Ausdruckskraft, Disziplin und Ausdauer, da die Sätze technisch und dynamisch anspruchsvoll sind. Neben großen Tuttipassagen müssen die Chorstimmen in den lyrischen und leisen Momenten sensible Klangnuancen und Textverständlichkeit bewahren. Ebenso fordert Brahms eine durchgehende Spannung bis zum letzten Takt. Die Solopartien für Sopran und Bariton sind emotional und technisch anspruchsvoll, verlangen große Ausdrucksvielfalt, Durchhaltevermögen und die Fähigkeit, mit dem Chor und Orchester zu verschmelzen, ohne den eigenen Part zu verlieren. Gleichzeitig muss die Dirigentin auf größtmögliche Transparenz und Balance achten, um das vielschichtige musikalische Material zwischen Chor, Solisten und Orchester zusammenzuführen.
Katja Ulges-Stein überzeugte in der Christuskirche mit einer klugen, differenzierten Interpretation des Requiems, die sowohl auf Detailreichtum als auch auf klangliche Balance setzte. Die Dirigentin wusste das Orchester Rheinklang Düsseldorf sicher und transparent zu führen und verstand es, die komplexe Dynamik des Brahms’schen Werkes sensibel zu gestalten. Das Ensemble folgte ihren Zeichen mit Präzision und musikalischem Einfühlungsvermögen, wodurch große Spannungsbögen und feine Nuancen gleichermaßen zur Entfaltung kamen.
Mit Elisa Rabanus (Sopran) und Christoph Scheeben (Bariton) wirkten zwei exzellente Solisten mit, die durch Klarheit, Ausdruck und musikalische Sensibilität überzeugten. Ihre Gesangspartien waren von großer Tiefe und Emotionalität geprägt und ergänzten die Chorteile vorbildlich. Das Orchester Rheinklang Düsseldorf bildete einen zuverlässigen, farbenreichen Klangkörper, der sowohl in den lyrischen als auch in den dramatischen Momenten des Werks glänzte und den Chor dabei beispielhaft unterstützte.
Der Chor ist fast pausenlos Träger des musikalischen Geschehens und repräsentiert die Gemeinschaft sowie die emotionale Botschaft des Werkes. Mit klarer Textverständlichkeit, dynamischer Gestaltungsfähigkeit und präziser Polyphonie sorgten die Mitglieder der Kantorei sowie musikbegeisterte Projektsingende in einer Sangesstärke von immerhin 60 Personen dafür, dass sowohl Monumentalität als auch Intimität im Klangbild entstehen konnten. Die Stimmen blieben – ob im zurückhaltenden Piano oder im kräftigen Forte – weitestgehend transparent, klanglich homogen und dennoch beweglich.
Die intensive musikalische Vorbereitung der Kantorei fand im Jubiläumskonzert ihren Höhepunkt und machte die emotionale und tröstende Kraft von Brahms‘ Werk für die Zuhörenden individuell erlebbar. Die Anwesenden in der gut besetzten Christuskirche bedankten sich für dieses besondere Hörerlebnis bei allen Mitwirkenden mit langanhaltendem Applaus.


Der Evensong, ein abendliches Stundengebet, ist ursprünglich in der anglikanischen Kirche beheimatet. Inzwischen ist er auch in der evangelischen und der katholischen Kirche verbreitet. Wichtigstes Element ist der gemeinsame Psalmengesang, weitere Bestandteile sind Chorlieder, Gemeindelieder sowie zwei Lobgesänge aus dem Neuen Testament, das Magnificat (Lobgesang Mariens) und das Nunc Dimittis (Lied des greisen Simeon). Eine Lesung, Fürbitten und Momente der Stille gehören ebenfalls dazu.





